Gefühl des Abgehängtseins nutzt nur Radikalen

Es ist nicht klug einen Reich-Arm-Gegensatz mit den Kommunen im Osten auf zu machen.

In der Region hat der VRS ein Papier vorgelegt, das „Dichte-Stress“ als Gegensatz zum Abgehängtsein in anderen Bundesländern beschreibt. Kai Buschmann sagt, warum das unklug ist.

Dichtestress in der Region: volle S-Bahnen. Woanders gibt’s keine S-Bahnen, nicht mal Busse. Das ist dann „Abgehängtsein“.

Hier der komplette Redetext aus der Regionalversammlung vom 03.04.2019:
Die Bundesregierung hat einen Arbeitskreis, pardon eine Kommission, gegründet, sich selbst, die Ministerpräsidenten sowie die Kommunenvertreter da rein berufen und der Verband Region Stuttgart gerät in Wallung. Das Thema der Kommission heißt „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ schaffen und die Region gräbt sich ein. Ihre Reaktion auf Schwäbisch: „Mir gäbad nix“. Auf Deutsch: Was den anderen die gähnende Leere im ländlichen Raum, ist für uns der „Dichtestress“.

Ich will es kurz machen: Es ist nicht klug einen Reich-Arm-Gegensatz auf zu machen. Es ist nicht klug, der AfD und den Linken in den östlichen Bundesländern Munition zu liefern. Die warten nur auf das Bild der süddeutschen Pfeffersäcke, die auf dem Geldsack sitzen und nichts abgeben wollen.

Es ist nicht klug, nicht zu erkennen, dass es in der Tat keine gleichwertigen Lebensverhältnisse gibt. Dass es eine subjektive Wahrnehmung des Abgehängtseins gibt. Dass Abgehängtsein negative Gefühle weckt, wer wüsste das besser als wir in der Region? Wir haben dieses Gefühl schon, wenn wir mit einem Mbit ins Internet müssen oder nur einen Balken auf dem Handy haben.

Wie muss sich jemand fühlen, der weniger oder gar nichts hat? Wem spielt das in die Karten? Den radikalen Kräften, denn es gibt einen Zusammenhang zwischen der Angst vor dem Fremden und der mangelhaften Verbindung mit der Welt. Das hat die Wissenschaft längst erkannt. Der bekannte Soziologe Hartmut Rosa, Autor der Bücher „Beschleunigung“ und „Resonanz“, fordert die Bekämpfung der Angst vor dem Fremden im Osten der Republik durch Infrastrukturmaßnahmen. Ein besserer Anschluss ländlicher Gegenden an städtische Zentren und die Stärkung lokaler Infrastruktur könne dem Gefühl des Abgehängtseins entgegenwirken, so Rosa. Wir meinen, Rosa hat da Recht.

Der Osten wird leerer, bei uns wird es voller: 140.000 zusätzliche Menschen werden für die Region notwendig sein, um das wirtschaftliche Level zu halten. Vielleicht wäre die eine oder andere Strukturmaßnahme anderswo hilfreich, um den „Dichtestress“ zu senken, ohne der Wirtschaftlichkeit bei uns zu schaden. Unsere Firmen können sich bekanntlich mit Indien, China, kurz weltweit vernetzen und das wird mit der Region 5.0 noch besser. Nur mit Sachsen-Anhalt hinten rechts, klappt die Vernetzung nicht. Soll das die Bundesregierung doch ruhig besser machen. Der Anspruch der Region lautet, das Kirchenturmdenken in der Region muss überwunden werden. Heute praktiziert die Region Kirchturmdenken der Regionen.

Und noch ein klares Wort zum „Dichtestress“: Der ist auch hausgemacht. Der hat durchaus etwas damit zu tun, wie die Mehrheiten im Land und in der Region sind: Grün-Schwarz gibt der Region bei weitem nicht den Anteil an den Mitteln, der ihr zusteht, sondern pumpt das Geld unverfroren woanders hin. Das wäre der Ansatz für eine geharnischte Stellungnahme des Verbandes.

Die Wohnraumknappheit ist auch selbstgemacht, weil nicht genügend Wohnbauflächen ausgewiesen werden. Die „Verdrängung weniger leistungsstarker Bevölkerungsgruppen in minder zentrale Lagen“, ist wohl eher fiktiv. Wer mit seinen Kindern im Grünen leben möchte, ist eher froh außerhalb etwas zu finden und muss nicht unbedingt zu den „weniger Leistungsstarken“ gehören, wie es in der Vorlage heißt. Und die „verlorene Lebenszeit durch überlastete Infrastrukturen“ können wir doch beenden: Installieren wir ETCS, bauen wir eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn, eine Filderauffahrt, eine Nord-Ost-Umfahrung, ein drittes Gleis für die Remstalbahn und was wir sonst noch alles in den letzten Jahren nicht getan, ja nicht mal angeleiert haben. Herumjammern, dass andere Geld für Infrastruktur bekommen sollen, nutzt nichts, wenn wir nicht Mehrheiten zusammenbringen, unsere eigenen Defizite zu beseitigen. An Geld hat’s in den letzten Jahren nicht gemangelt. Aber an Durchsetzungsstärke beziehungsweise an dem gemeinsamen Willen, den Dichtestress überhaupt abbauen zu wollen. Woran liegt´s? Wohl daran, dass man auch vom Dichtestressgerede politisch profitieren kann, denn was dem einen der Fremde, ist dem anderen der Weltuntergang. Hauptsache Schreckgespenst.